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Berlin (Reuters) – Angesichts ungebremst steigender Infektionszahlen in Deutschland fordern Mediziner eine schnelle Umsetzung der neuen Beschlüsse zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie.
In Bayern warnten Krankenhäuser vor einer unmittelbar drohenden Überlastung der Intensivstationen und forderten deutlich härtere Kontaktbeschränkungen. Der Verband der Intensivmediziner zweifelte, ob die von Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen ausreichen werden. Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Freitag 52.970 Positiv-Tests binnen 24 Stunden. Das sind 4330 Fälle mehr als am Freitag vor einer Woche.
Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Gernot Marx, sagte im Deutschlandfunk: “Im Moment mache ich mir wirklich große Sorgen.” Es gebe ein “ungebremstes Infektionsgeschehen, wir haben exponentiell ansteigende Intensivbelastung”, sagte Marx. “Und ich bin mir nicht sicher, ob die beschlossenen Maßnahmen auch wirklich ausreichen, dass sie die Pandemie wieder erfolgreich bekämpfen.”
Der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, Roland Engehausen, sagte der “Augsburger Allgemeinen”: “Die aktuelle Lage ist so dramatisch, wie sie noch nie in der gesamten Pandemie-Zeit in Bayern war.” Aus Bayern werden Patienten wegen überfüllter Krankenhäuser nach Italien verlegt, wie der Präsident des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands, Michael Weber, sagte. Er erwarte innerhalb der nächsten 21 bis 23 Tage eine Verdopplung der Zahl der Intensivpatienten.
Das RKI meldete 201 weitere Tote im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Damit nähert sich die Zahl der gemeldeten Todesfälle insgesamt weiter der Marke von 100.000. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 340,7 von 336,9 am Donnerstag. Der Wert gibt an, wie viele Menschen je 100.000 Einwohner sich in den vergangenen sieben Tagen mit dem Coronavirus angesteckt haben. Die kritische Sieben-Tage-Inzidenz bei der Hospitalisierung gab das RKI für Donnerstag mit 5,3 an. Die Ministerpräsidentenkonferenz hatte am Donnerstag drei Grenzwerte festgelegt für weitere Maßnahmen. Ab der Inzidenz von 3 in einem Bundesland soll die 2G-Regel gelten, ab 6 die 2G-Plus-Regel und ab 9 sollen weitere Maßnahmen verhängt werden können.
Eine große Mehrheit der Bevölkerung ist offen für schärfere Corona-Maßnahmen. Dies belegt eine Forsa-Umfrage im Auftrag des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Auf die Frage, welche Maßnahmen auch nach dem Ende der epidemischen Lage Bund und Ländern noch erlaubt sein sollten, sprachen sich 78 Prozent für die Maskenpflicht aus. Einer möglichen Anordnung, die 2G-Regelung flächendeckend einzuführen, stimmten 69 Prozent zu. Eine allgemeine Impfpflicht befürworten 38 Prozent. Klar geht aus der Umfrage auch hervor, dass kaum noch jemand die Schließung von Schulen und Kitas befürwortet. Nur elf Prozent sprachen sich für diese Option aus. Etwa 1000 Personen wurden befragt. Die statistische Fehlertoleranz beträgt drei Prozentpunkte.
“MORALISCHE VERANTWORTUNG”
Der Bundesrat kam am Morgen zusammen, um die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes zu beschließen. Nach anfänglicher Kritik aus Unions-geführten Ländern zeichnete sich nun doch eine Zustimmung für das Vorgehen der Ampel-Parteien ab. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) kündigte im ZDF “heute-journal” an, sein Land werde dem Gesetz zustimmen. Man habe so entschieden, weil der mutmaßliche kommende Kanzler Olaf Scholz (SPD) zugesagt habe, dass es am 9. Dezember eine Überprüfung der nun erlaubten Corona-Maßnahmen geben solle. Auch andere CDU-geführte Länder haben angekündigt, am Freitag ihre Zustimmung zu geben.
Die Bundesärztekammer begrüßte die Beschlüsse des Bund-Länder-Treffens grundsätzlich, die Maßnahmen müssten Anfang Dezember aber möglicherweise noch nachgeschärft werden. “Ob sie ausreichen, um die Infektionslage in den Griff zu bekommen und eine Überlastung der Kliniken zu verhindern, muss sich zeigen”, sagte Ärztepräsident Klaus Reinhardt der Funke Mediengruppe. Wichtig sei es, bis zur vereinbarten Evaluation der Beschlüsse am 9. Dezember gezielt Daten und Erkenntnisse darüber zu erheben und zu sammeln um bei Bedarf nachsteuern zu können.
Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderte Tempo bei der Umsetzung der neuen Corona-Beschlüsse. “Die Ampel muss zeigen, dass sie nicht nur redet, sondern dass sie Taten umsetzt”, etwa bei der angedachten Impfpflicht für Pflegeberufe, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg im ZDF. SPD, Grüne und FDP müssten diese von Bund und Ländern geforderte Impfpflicht nun schnell ins Gesetzesblatt bringen. “Wenn das jetzt wieder bis Januar, Februar, März dauert, dann können wir das vergessen.” Landsberg forderte zudem Kontaktbeschränkungen und die Reduzierung von Veranstaltungen, um das Infektionsgeschehen bremsen können.