– von Iryna Nazarchuk
Kiew (Reuters) – Bei russischen Raketenangriffen sind nach ukrainischen Angaben nahe Odessa mindestens 21 Menschen getötet worden.
Darunter sei ein zwölfjähriger Junge, erklärte ein Vertreter der Regionalbehörden am Freitag. Dutzende weitere Menschen wurden demnach verletzt, als die Raketen mitten in der Nacht ein Wohngebäude und zwei Ferienanlagen nahe der Hafenstadt trafen. Die russischen Truppen hätten Raketen aus alten Sowjetbeständen vom Schwarzen Meer aus abgefeuert. Die Bundesregierung verurteilte die Angriffe “auf das Schärfste”. Die Regierung in Moskau wies Vorwürfe, zivile Ziele ins Visier zu nehmen, abermals zurück. Aus dem Osten der Ukraine meldete Russland laut der Nachrichtenagentur RIA die Einnahme der Ölraffinerie in der umkämpften Stadt Lyssytschansk.
Russland hat in den vergangenen zwei Wochen die Zahl der Raketenangriffe in etwa verdoppelt und dabei nach ukrainischen Angaben bei mehr als der Hälfte der Angriffe ungenaue Raketen aus der Sowjetära eingesetzt. Diese alten Raketen sollen auch am Montag eingesetzt worden sein, als bei einem russischen Angriff ein Einkaufszentrum in der Stadt Krementschuk getroffen worden war und dabei mindestens 19 Menschen umkamen. Russland hatte bestritten, dass Einkaufszentrum angegriffen zu haben, sondern ein Waffenlager. Seit Beginn der russischen Invasion sind Tausende Zivilisten in der Ukraine getötet worden.
BUNDESREGIERUNG VERURTEILT ANGRIFFE AUF ZIVILISTEN
Die Bundesregierung erklärte, Russland nehme bei seinem Krieg in der Ukraine zivile Opfer in Kauf. Das sei “menschenverachtend und zynisch”, sagte ein Regierungssprecher. Russlands Präsident Wladimir Putin und andere Verantwortliche müssten für solche Angriffe zur Verantwortung gezogen werden.
Im ukrainischen Parlament legten die Abgeordneten zusammen mit Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Schweigeminute für die Opfer des Raketenangriffs bei Odessa ein. Die Parlamentarier erhoben sich zudem, als die Flagge der Europäischen Union hineingetragen und hinter dem Podium neben die ukrainische Fahne gestellt wurde – ein Zeichen für den der Ukraine vergangene Woche verliehenen Status als EU-Beitrittskandidat. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sieht in dem Schritt der Gemeinschaft einen historischen Meilenstein für die Ukraine. “Die Ukraine hat jetzt eine ganz klare europäische Perspektive”, sagt sie in einer per Videolink nach Kiew übertragenen Rede.
SELENSKYJ: RUSSLANDS ABZUG VON SCHLANGENINSEL STRATEGIE-SIEG
Am Donnerstag hatten sich die russischen Streitkräfte von der strategisch wichtigen Schlangeninsel vor Odessa zurückgezogen, die sie kurz nach Kriegsbeginn erobert hatten. Während Russland den Abzug als eine “Geste des guten Willens” im Zusammenhang mit den internationalen Bemühungen für Getreide-Exporte aus ukrainischen Schwarzmeer-Häfen bezeichnete, sprach der Präsident Selenskyj von einem “strategischen Sieg”. Er garantiere noch keine Sicherheit. “Es ist noch nicht sichergestellt, dass der Feind nicht zurückkommt”, sagte er in seiner nächtlichen Videoansprache. Aber dies schränke die Aktionen der Besatzer erheblich ein. “Schritt für Schritt werden wir sie von unserem Meer, unserem Land und unserem Himmel zurückdrängen.”
Im Osten hielten die schweren Kämpfe um die Stadt Lyssytschansk an. Die Überlegenheit der russischen Feuerkraft sei nach wie vor deutlich zu spüren, sagte Selenskyj. “Sie haben einfach alle ihre Reserven eingesetzt, um uns zu treffen.” Die russischen Streitkräfte versuchen, die letzte größte ukrainische Bastion in der Region Luhansk einzukesseln, nachdem sie kürzlich nach wochenlangen schweren Kämpfen die Nachbarstadt Sjewjerodonezk auf der anderen Flussseite eingenommen hatten. Dort wagten sich die Bewohner aus den Kellern, in denen sie Schutz gesucht hatten und durchsuchten die Trümmer der zerstörten Stadt nach allem Brauchbaren.
(Geschrieben von Christian Götz und Elke Ahlswede, redigiert von Jörn Poltz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)